Sprache der Dinge – Language of Things

Materialität, Realität und Konfliktivität in Museologie, Archäologie und anderen dinglichen Wissenschaften / Materiality, reality and conflictivity in museology, archaeology and other material sciences


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Die Würde des Menschen ist unantastbar: Museo de Arqueología de Alta Montaña in Salta, Argentinien

Mumien? In der Ausstellung? Also, mal ganz auf den Punkt gebracht: tote Menschen? Die Meinungen und Publikationen zu diesem Thema sind Legion und reichen von: “Egal, die sind eh tot” bis zur ethisch korrekten Bemühung, Mumien – wenn überhaupt – korrekt und respektvoll auszustellen. Das Thema ist höchst emotional und treibt Menschen immer wieder auf Barrikaden. Momentan sichtbar für mich gerade in einem Diskussionsforum auf der Onlineplattform Coursera. Dort habe ich einen Kurs zur Archäologie belegt, um mir das mal anzuschauen, andere Leute und Meinungen zu finden und mehr über das große Thema Online-Lernen zu erfahren (mehr dazu bald hier!) und siehe da: gleich mehrere Forendiskussionen der mehreren hundert Kursteilnehmer aus der ganzen Welt drehen sich um diese Themen. Es scheint ein Thema zu sein, das uns persönlich berührt, selbst wenn wir keine eigene (genetische oder kulturelle) Beziehung zu diesen Toten haben.

In den Anden ist die Debatte um den ethisch korrekten Umgang mit Mumienfunden seit einigen Jahren nochmal extra aktuell. Um genau zu sein: seit dem Fund von Juanita, der “Inkamumie aus dem Eis“, deren “Begutachtung” durch die Clintons als Internetvideo damals um die Welt ging.

Abgesehen wie man zum Besteigen von Bergen steht, die für einige lokale Bevölkerungsgruppen heiligen Charakter haben, und egal was man von der Ausgrabung dort befindlicher Mumien hält, im Falle der 1999 durch Johann Reinhard drei zusammen gefundenen Kindermumien auf dem Gipfel des Llullaillaco (6.700 M.ü.M.) in Argentinien hat man sich im Nachhinein ernsthafte Gedanken darüber gemacht, wie man sie einem breiten interessierten Publikum zugänglich machen kann, ohne ihre Würde zu beschädigen, denn schon der Fund war hoch kontrovers. Ebenso wie die Aussagen, die Reinhard später im Interview über den Fund machte. Ist es okay, die Mumien aus ihrem Eis zu “befreien”? Was bedeutet überhaupt “befreien” in diesem Kontext, wenn der Berggipfel für die umliegenden Comunidades immer noch als heilig gilt? War es überhaupt in Ordnung, diese Mumien zu “befreien” oder entspricht das nur unserem europäischen und nordamerikanischen Wissenschafts- und Kulturverständnis? War es in Ordnung, sie per Hand aus einem Loch “zu ziehen”, wie es Reinhard selbst formulierte? Viele, sehr emotionale Fragen.

Im Laufe der Geschichte sind die Berge der Anden als Sitz und gleichzeitig “Körper” der Vorfahren angesehen worden, auch wenn dieses Konzept sich laut neueren Forschungen im Laufe der Zeit unter verschiedenen kulturellen Einflüssen und Repressionen immer wieder gewandelt haben dürfte (zusammenfassend und frisch gedruckt: Gose “Invaders as Ancestors. On the intercultural making and unmaking of Spanish Colonialism in the Andes”). Und auch heute spielen diese Gefühle und Vorstellungen eine große Rolle im kulturellen Selbstbild der dort wohnenden Bevölkerung. Die gesamte Debatte um die mediale Vermarktung, Aneignung, politische und ethnische Nutzung der drei Mumien wurde durch Christian Vitry, einen der führenden argentinischen Archäologen in Bezug auf die Inkazeit und Hochandine Archäologie, in diesem Artikel auf spanisch (und unter Zuhilfenahme wunderbarer Fotos!) zusammengefasst. Für die nicht spanisch Sprechenden hier die beiden Hauptfragen zum Thema Rückerstattung der Mumien an die “comunidades originarias” (“originale Gemeinschaften”, im Andenraum ein generischer Begriff für die mehrheitlich indianische Bevölkerung). Die Fragen lauten:

Erstens: Rückerstattung an wen genau? An die heutigen Dorfgemeinschaften? An bestimmte heute definierte “Ethnien”? Inwieweit können die sich auf 500 Jahre oder mehr zurückliegende Verbindung berufen?

Und zweitens: Rückerstattung wohin? Sollen die Mumien wieder bestattet werden? Sollen sie in ein lokales Museum? Und welche Sicherheiten bietet dieses?

All diese Fragen sind ja seit den 90er Jahren und der Veröffentlichung des Native American Graves and Repatriation Act (NAGPRA) Teil einer großen Debatte in den USA und mittlerweile eben auch in Südamerika. Denn die Wiedererstarkung ethnischer Gruppen und die Suche nach der eigenen Identität verstärkt über die Archäologie führte auch hier zu größeren Problemen und Diskussionen.

Habitat_du_Chinchilla_brevicaudata_-_LllullaillacoVolcan Llullaillaco.

Und die Aufnahme und Betrachtung dieser Fragen ist das Anliegen des Museo de Arqueologia de Alta Montaña (MAAM) in der Provinzhauptstadt Salta, wohin die Mumien nach ihrem Fund von 1999 verbracht wurden (auch das ein höchst kontroverses Thema).

Das Museo de Arqueologia de Alta Montaña (MAAM) in Salta, Argentinien, ist seit seiner Einweihung im Jahr 2004 (hier der Link bereits zur Kritik an der GRÜNDUNG des Museums!) meiner Meinung nach eins der besten Museen die ich kenne. Mit einigem am Geld wurde hier direkt im Stadtzentrum von Salta, einer Provinzhauptsstadt in Argentinien, ein Museum eingerichtet, dass sowohl die Mumien als auch ihren gesamten Fundkontext und viel viel Information zum Thema Gebirgs-Archäologie und ihren ethischen Implikationen präsentiert. Alles ist auch auf der Website des Museum einsehbar, inklusive mehrerer Videos. Schaut man sich die Bewertungen im Internet an, handelt es sich um ein hochgelobtes Haus und ich kann nur sagen: es ist wahr.

Ich besuchte das Museum bereits im Jahr 2006 und war sehr beeindruckt von der Durchdachtheit des Konzepts. Das gesamte Museum war darauf ausgerichtet, den Besucher sowohl zu informieren und gleichzeitig an vielen verschiedenen Stellen darauf hinzuweisen, dass RESPEKT eine der Tugenden ist, mit dem man sich den Gipfeln der Anden, den lokalen Gemeinschaften die dort wohnen und den gefundenen Mumien nähern sollte. In diesem Sinne wurden z.B. bereits zu Beginn des Rundgangs Informationen dargestellt zum Fundkontext der Mumien, zur Position und Meinung der örtlichenGemeinschaften zum Fund und auch zu dessen Ausstellung und es wurden auch durchaus kritische Punkte formuliert. Große Fotografien zeigten in einem separaten Gang die drei gefundenen Mumien und wiesen darauf hin, dass sich damals zwei der drei noch in der Restauration befanden und nur eine der drei, die sogenannte “Doncella” ausgestellt sei.

Daraufhin gab es eine relativ große Ausstellung, die die Beigaben der drei Kinder zeigte, d.h. die Objekte, die man mit ihnen auf dem Gipfel des Llullaillaco gefunden hatte. Erst ganz am Ende gelangte man in einen separaten Raum, in dem man darauf hingewiesen wurde, dass im angrenzenden Bereich die Mumie der “Doncella” zu sehen sei. Hinweistafeln verwiesen wiederum darauf, dass dies mit Respekt geschehen solle und es für diejenigen, die die Mumie nicht sehen wollten, die Möglichkeit gäbe jetzt den Rundgang an anderer Stelle fortzusetzen. Ich betrat den Raum, in dem die Mumie selbst noch einmal durch einen textilen Vorhang vom Publikum getrennt war. Erst nachdem man auch noch diesen Raumteiler durchschirtten hatte, konnte man die Mumie tatsächlich sehen, die in einem auf Knopfdruck sanft erleuchteten Raum ausgestellt war.

Die gesamte Ausstellung udn das Konzept der Rücksichtnahme und des Respekts gegenüber den toten Menschen hat mich damals und bis heute sehr beeindruckt. Sicher können das viele nachvollziehen, die selber Knochen ausgegraben haben und sich diesen mit gemischten Gefühlen zwischen Respekt, Aufregung und wissenschaftlichem Interesse genähert haben. Mich hat der Fund von Menschen bei meinen Grabungen immer sehr bewegt und ich habe versucht, mich den Resten der Toten mit Bedacht und Respekt zu nähern. Diese spezielle Situation tritt natürlich auch in Museen ein, wenn sich Massen von Menschen den Resten der Toten nähern. Zum Einen ist das Konzept von Authentizität hier ganz wichtig, denn Nachbildungen sind natürlich etwas völlig anderes als ein Original. Stellt man aber authentische Mumien oder Knochen/Skelette aus, dann stellt sich für mich die Frage wie man hiermit umgehen soll. Das voyeuristische Betrachten von Knochen ohne einen Verweis auf gebotenen Respekt finde ich immer etwas unangenehm, obwohl diese Situation eher der Regelfall in vielen Museen ist. Gerade die Ausstellung von Skeletten im Fundkontext ist in den letzten Jahren zunehmend angeboten worden, sodass man sozusagen die “original” Fundsituation im Musem betrachten kann.

Hier ein Beispiel aus Frankreich:

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Das ist auch eine wunderbare Sache, ich denke aber, dass es nötig ist den Betrachter immer auch dezent darauf hinzuweisen, dass wir hier die Reste eines Menschen vor uns sehen, der einmal gelebt hat und gefühlt hat – und der unseren Respekt, auch Zurückhaltung verdient.

In diesem Sinne scheint mir das MAAM einen großartigen Weg gefunden zu haben, viele, wenn auch nicht alle, der beteiligten Gruppen auf einen Nenner zu bringen und einen gewissen Konsens herzustellen. Die respektvolle Ausstellung der Mumie, die sehr prominent platzierte Information zum kontroversen Thema “Wem gehören die Mumien und sollten sie überhaupt in diesem Museum sein” und das einfühlsame Umfeld in der Ausstellung waren für mich ein Beispiel dafür, wie ein modernes Museum mit toten Menschen umgehen kann ohne sie ihrer Würde zu berauben. Besucht das Museum online, oder noch viel besser: solltet ihr dort sein: GEHT HIN! Es gibt viel nachzudenken.