Sprache der Dinge – Language of Things

Materialität, Realität und Konfliktivität in Museologie, Archäologie und anderen dinglichen Wissenschaften / Materiality, reality and conflictivity in museology, archaeology and other material sciences


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Das Neue Akropolis-Museum in Athen / The New Acropolis Museum at Athens

New Acropolis Museum sprachederdingeblog

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Eigentlich wollte ich ja über das Museum etwas später schreiben, sozusagen meine Athener Erfahrungen erstmal sacken lassen. Da aber vor einigen Tagen neue Bewegung in den Fall der Elgin-Marbles gekommen ist, ist es vielleicht ganz schön, dieses Museum vorzuziehen und hier gleich einzubinden. Immerhin wurde es ja hauptsächlich deshalb gebaut, um den Parthenon-Friesen, die heute im British Museum ausgestellt sind und um 1820 nach Großbritannien kamen, eine neue/alte Heimat zu bieten.

Das Neue Akropolis-Museum hat auf jeden Fall zwei Seiten. Eine ist die politische. Die andere die museologische. Und beide gehen Hand in Hand, was eine Beschreibung nicht einfacher macht!

Als politische Forderung der Rückgabe der Parthenon-Friese (auch bekannt als Elgin Marbles im eher englischsprachigen Raum) beruht auf der Annahme, die Friese wären von Lord Elgin unrechtmäßig nach Großbritannien ausgeführt worden (zusammengefasst etwa hier letzthin beschrieben). Andererseits beharrt das British Museum darauf, dass die Ausfuhr und auch der spätere Ankauf durch das Museum rechtmäßig waren, da es hierfür Dokumente geben soll (hier in kurzer Form dargestellt). Ich möchte hier gar nicht einsteigen, denn weder bin ich in der Diskussion wirklich kundig, noch gibt es hierfür den Platz. Eine schöne, längere Einführung zu diesem sehr kontroversen Thema findet sich im Buch “Loot” von Sharon Waxman, das ich hier schon einmal vorgestellt habe, neuere Entwicklungen kann man  im Internet unter dem Stichwort “Parthenonfries Rückgabe” (oder ähnlich) sehen.

Auf jeden Fall geht es hier nur vordergründig um die Frage ob Friese (un)rechtmäßig ausgeführt wurden – eigentlich geht es um Fragen von Kolonialismus. Ähnliches geschieht seit Jahren mit dem Fall Nofretete in Berlin, in dem auch immer wieder Debatten angestoßen werden, die eigentlich auf Dokumenten und rechtlichen Fragen beruhen, die eigentlichen (post)kolonialen Fragen aber außen vor lassen.

Aber eigentlich ging es ja nun um das Museum an sich. Sichtbar ist das Museum bereits, wenn man am Parthenon steht und auf die XXXX Seite Athens hinunterblickt. Gleich hinter dem Dionysos-Theater findet sich das Museum, ein heller, gläserner Bau. Kommt man dem Gebäude näher, sieht man vor allem eines: der Eingang ist vertieft, darüber erhebt sich ein verglastes Gebäude, dessen oberster Stock fast völlig einsehbar ist. Selbst von draußen sind die Stücke des Parthenons-Frieses, Repliken, etc. schemenhaft erkennbar. Unter den Füßen sieht man die Ausgrabungsstätten der Umgebung der Akropolis zwischen 500 vC  – 700 nC, die, so wie sie sind, ins Museum integriert wurden und später begehbar sein sollen. Bislang liegen sie einem zu Füßen.

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Da übrigens das Museum Fotos nur an sehr ausgewählten Orten erlaubt, sei hier auf die Website verwiesen, die viele Fotos anbietet. Meine Fotos stammen von den Außenbereichen. Und noch ein kurzes Wort zu Familien & Kindern. Zwar war ich in diesem Museum alleine, es gibt aber mehrere Kinderecken, spezielle Kinderführungen und Kinderinformationen. Familien erhalten wohl einen speziellen Familien-Pack am Eingang, mit Gadgets für Familien mit Kindern. Mein Favorit war die nachgebaute Akropolis aus Legosteinen!

Auf jeden Fall: Dieses Museum ist mehr als ein Museum. Es ist ein Ort der Einkehr in die klassische Welt, so wie Griechenland und die Besucher sie sich wünschen. Räumlich so großzügig geschnitten dass selbst die vielen Besucher sich verlaufen und man sich alleine, ungestört fühlt, in ruhiger Betrachtung der Statuen, Keramiken, Friese. Ein unglaublich schönes Gefühl, gerade wenn der Blick aus den Glasfronten immer wieder gegenüber auf die Akropolis fällt, deren Parthenon die gleiche Ausrichtung und Größe hat wie das oberste Stockwerk des Museums. Der Genius Loci ist hier zuhause.

Mein Studium der Klassischen Archäologie dauerte nur 2 Semester und endete aufgrund der Sinnlosigkeit von Diskussionen über die Handhaltung zerbrochener Statuen. Zusammengefasst kann ich sagen, dass mir die Irrelevanz dieses Studienfaches für mich selbst damals klar wurde. Trotzdem übt die Antike, das Aufkommen der Demokratie und die griechischen Stadtstaaten immer noch eine Faszination aus, die vielleicht auch kulturell bedingt ist. Akropolis und Neues Akropolis-Museum waren also ein Magnet in Athen und ich habe die verständlichen, nicht zu langen, aber auch nicht zu kurzen Texte genossen, die mir Überblick über die einzelnen Phasen der Entwicklung der Akropolis und des alten Griechenlands im Allgemeinen boten. Ich mochte die Statuen, die Keramiken, die wunderbare Beleuchtung. Sei es im Tageslicht, durch die riesigen Glaswände, oder im Aufgang bei eher weichem Licht für die Keramiken. Helle, weiße Oberflächen wiederholen die Idee der weißen Antike, so überholt diese auch sein mag. Und dieses Weiß schafft eine helle, ruhige Atmosphäre.

Innerhalb des Museums gibt es insgesamt 3 Stockwerke, die die verschiedenen Areale der Akropolis wie auch die unterschiedlichen zeitlichen Phasen abbilden, sei es in Keramik oder den Statuen. während es im Treppenaufgang um die Akropolis und ihre einzelnen Areale geht, ist der erste Stock vor allem der archaischen Akropolis mit ihren Dutzenden von Korai (Votivstatuen junger Frauen) gewidmet. Der Zwischenstock birgt einen der beiden Museumsshop, das Café, die Karyatiden und Informationen zum Parthenon.

Der oberste, dritte, Stock ist ganz den Parthenonfriesen gewidmet, denn das Parthenon ist hier architektonisch nachgebildet, sodass man sowohl die inneren wie auch die äußeren Friese in der Größe und Aufrichtigen sieht wie es auf dem Parthenon der Fall wäre, das sich hinter dem Fenster auf der Akropolis erhebt. Idee war hier, die – zurückbekommenen ?! – Teile der Friese wieder einzufügen sodass das Parthenon im Museum praktisch aufersteht. Da dies aber nicht der Fall ist, hat man sich bislang mit den Originalen beholfen, die in Athen verblieben sind sowie mit einigen Repliken. Viele Paneele bleiben auch einfach leer. Ihnen gegenüber immer wieder die Möglichkeit zu sitzen, zu schauen. Einzelne Statuen und Infotafeln geben weitere Informationen zum Parthenon, dem Stil, einzelnen Details, der Nachvollziehung dargestellter Szenen, die ja teilweise nur noch schemenweise sichtbar sind.

Wer um diese Galerie im 3. Stock herumwandert, bekommt jedoch hauptsächlich eine gefühlte Idee davon, wie es gewesen sein mag, im alten Athen das Parthenon zu betreten und sich dort aufzuhalten. Es ist ein großartiges Gefühl, und das sage ich jetzt als klassisch recht unbeschlagener Mensch, der sich einfach der Schönheit und dem Genius Loci hingibt. Ich kann keine Analysen zu den Statuen liefern, ich kenne auch nicht alle mythischen Geschichten dahinter. Und ich habe keinen Audioguide. Ich laufe einfach nur ganz in Ruhe um die Galerie herum. Innen und außen in der Galerie, betrachte die vorhandenen oder nicht vorhandenen Paneele und sinniere über die Geschichte. Es ist ein sehr besonderes Museum mit einem besonderen Gefühl.

Obwohl ich im Museum keine explizite Information zum Thema der Rückgabefrage gefunden habe, machen die Paneele in der obersten Galerie sehr deutlich, was hier fehlt. Auch der zweite Besuch gab keine Informationen darüber her, ob und wie hier mit dem Thema der Rückgabe des Frieses umgegangen wird. Auch die offiziellen Bücher im Museumsshop konzentrieren sich auf die Objekte, und nehmen keinen Bezug auf Politisches. Wer nichts über die politische Seite der Akropolis weiß, wird hier nicht informiert, es geht schlicht und ergreifend um das Klassische Athen. Und das wird hier auf wunderbar gestaltete Weise wieder lebendig.

New Acropolis Museum Athens sprachederdingeblog

Legomodell der Akropolis – New Acropolis Museum Athens sprachederdingeblog

ENGLISH VERSION

Actually, I wanted to write about this museum a little bit later on, lets say when my Athenian experiences settled down a bit. But as there have been movements in the case of the Elgin Marbles in the last few days, I decided to do it right away. Because the New Acropolis Museum was built to house the whole of the Parthenon Frieze (the parts being currently in Britain also known as Elgin Marbles) and to offer a new home of all of the frieze in Greece. So, the New Acropolis Museum definitely has two sides to it: a political. And a museological. Both go hand in hand, which doesn´t help when describing this beautiful museum.

The political claim of restituting the Elgin Marbles is based on the assumption that these were taken away by Lord Elgin on an illegal basis to Great Britain in the 19th century (see a short version of the events here). On the other hand, the British Museum refuses this claim on the basis of the legality of the export and later buying of the marbles by the museum because of certain legal documents presented at that time (have a look at this part of the discussion here). I don’t want to take sides in that, I have no deep knowledge of the case, nor is this the place to do it. If you´d want to have a longer, more detailed introduction to it, have a read at the part of “Loot” of Sharon Waxman that deals with the Elgin Marble – topic. Newer developments are avaibale at the internet.

Anyway, the question of the friezes coming back to Greece and if they were exported illegally in the first place is a rather superficial question. Actually, the question(s) and the debate(s) are on colonialism. Similar things are happening around the topic of Nofretete in Berlin, where claims of restitutions are being issued on a rather regular basis. Based on legal documents, these also draw on post(colonial) questions, that are being left out in the legal debate.

But, this blog post was to be on the museum itself, which is visible even from the Acropolis. If you’re standing at the Parthenon you can devise it on the other side, directly behind the theatre of Dionysos. Its a building in light color, with a lot of glass, and when you come nearer you’ll see that it is partially subterranean. But even from the outside you can make out parts of the Parthenon frieze inside, you may see parts of statues, or replicas. Below your feet is a glass floor through which you can see the excavations of the surroundings of the Acropolis from 500 BC up to 700 AD and at some point, when the excavations are complete and the whole subterranean area has been conservated, you ´ll may visit these excavations – by now they’re only visible form above.

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Something on the side: the museum unfortunately allows to make photos only in very restricted and selected areas, so all my photos are from the outside buildings. You may have a look at the website, which offers nice photos of the museum. And a short aside to the topic of families and children: I went alone this time, but I was informed that families get a special family-pack at the entrance with educational gadgets and the like. Different children’s areas exist, together with quiet reading areas. There are special informations for children, children tours – and I liked the lego model of the Acropolis best!

In any case: this museum is more than a “Museum”. Its a location of contemplation of the classical world, such as Greece and the visitors would like it to be. Spatially, the museum is so large that even huge amounts of visitors find sufficient space and you may feel alone, undisturbed in your quiet gazing at statues, ceramics, friezes. I went to the museum twice, on Friday evening and sunday afternoon, and even with masses of people going there on sunday it had a quiet quality to it, mainly based on the high ceilings and the overall spatial disposition of its rooms and galleries. Its a wonderful feeling to be there, especial when your view is diverted every now and then to the acropolis right across the street, looming up high in an greek sky of pure blue. Through large glass panes the Parthenon itself is visible, showing the same size and orientation as the top floor of the museum. Genius Loci is at home here.

My studies of Classical Archaeology only went on for a year and that has been some time ago. They ended because of what I felt was the senselessness of ongoing debates in class about the original disposition of a hand of broken statues and the like. I must admit that the relevance of these details never got to me – I am more fond of actual interpretation of data, be they from excavations, surveys or analysis. But nevertheless, Antiquity, the rising of European democracy and the greek city states radiate a fascination which may be culturally induced but work nevertheless. In me and many other people! The Acropolis and the New Acropolis Museum thus were one of my main sights to be seen in Athens and I rather indulged in the not too short – not too long information texts the Museum offers on the development of the Acropolis, especially in Archaic and Classical times. I admit, I just liked the statues, the ceramics, the wonderful lighting. If its in daylight, through massive glass panes, or in the entrance ramp in a soothing light with the ceramics. White, translucent surfaces keep up our idea of the White Antiquity, as outdated as that may be. And white creates a clear, quiet atmosphere.

After getting an introduction to the surroundings of the Acropolis via the excavations below your feet, you’ll be informed on the Acropolis and the Sanctuary of the Nymph, with a side dish of Athenian Marriage in classical times. Another sector of the entrance ramp offers information on Greek everyday life. And while the first floor is entirely dedicated to the archaic Korai (early votive statues) and early Acropolis, the second floor holds a cafe, a museum shop, a reading area and the Karyatides. The top floor is dedicated to the Parthenon, as we know it by now – the classical one.

So, the top floor, dedicated to the Parthenon friezes, has been remodeled to match the Parthenon. You can see whatever´s left of the friezes in the same size and orientation as the Parthenon itself up in the Acropolis would have been. The inner and outer friezes (their replica or even blank spaces) are presented in a way that corresponds to the original, antique disposition. The whole idea of this floor was to include the friezes now in London and other parts of the world so that the visitor may get an idea of the original Parthenon – as this is not the case and may parts of the frieze remain abroad, replicas have been filled in in some areas, others stay just blank. Single statues on the side and additional information is offered to give more information on the Parthenon itself, the styles, several details of the frieze and so on.

New Acropolis Museum Athens sprachederdingeblog

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Whoever wanders in this gallery, gets a feeling of how it my have been to enter the Parthenon in classical times and to stay there. Its a wonderful feeling  – and I say this mainly as a person with no scientifically induced feelings towards Antiquity. But even so, you can feel the beauty, the genius loci. I couldn’t analyze the statues in any archaeological or art historical way, I don’t know all the mythical histories behind their stories. I don’t use an audioguide. I just walked along, sat down, gazed, wandered again. Again and again I contemplated the panels and thought about history. I may gaze up to the Acropolis and then around me again. This is a very special museum with a very very special feeling to it.

Although I couldn’t find any information on display concerning the restitution debate, the panels in the Parthenon gallery just make it clear what is lacking here. Even a second visit didn’t reveal any written information on this sensible topic. And the books at the museum shop offer “only” architectural and art historical information. If you don’t know anything on the political side of this museum and its objects you won’t get to know it here. It´s about Classical Athens. And this comes alive in this museum in a wonderful way.

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Rezension: D. Mölders & S. Wolfram (Hrsg.) “Schlüsselbegriffe der Prähistorischen Archäologie”

Der Waxmann Verlag war so freundlich mir ein Exemplar des 2014 erschienenen Sammelbandes “Schlüsselbegriffe der Prähistorischen Archäologie” zuzusenden, herausgegeben von Doreen Mölders & Sabine Wolfram. Vielen Dank an den Verlag, dass Sie auch Internetpublikationen als so wertvoll betrachten dass Sie mich kontaktieren! Aufgrund von Zeitbeschränkungen und der generell unbezahlten Arbeit für diesen Blog kann ich nicht immer alles rezensieren, was mir angetragen wird, sondern beschränke mich auf die Publikationen, die es mir wirklich wert sind. So auch im Fall dieses (es sei vorab gesagt!) großartigen Buches.

Alleine der Titel klang so, dass ich mir vorstellte hier gebündelte, aktuelle Informationen zu erhalten, in einer kurzen, übersichtlichen Fassung. Genau das Richtige um während einer wissenschaftlichen Arbeit kurz nachzuschlagen, weiterführende Literatur vorgeschlagen zu bekommen und einen ersten Eindruck eines Schlüsselbegriffes mitzunehmen. Soweit meine Idee. Dass die Reihe “Tübinger Archäologische Taschenbücher“, aus der das Buch stammt, von Manfred K.H. Eggert mit herausgegeben wird war ein zusätzlicher Pluspunkt, da ich seine Arbeiten generell sehr schätze. Da ich aber keine Deutschland-zentrierte Forscherin bin, sind mir die Diskurse und Ideen der Prähistorischen Archäologie zwar bekannt, aber ich bin nie ganz up to date, da Diskurse in Lateinamerika noch einmal andere sind als hierzulande. Dazu der fachspezifische und persönliche Forschungsfokus – schon ist man in vielen Debatten nur am Rande dabei, und nur in sehr wenigen wirklich drin. Um so wichtiger ist es zu wissen wo man fundierte, kurz gehaltene Informationen bekommen kann wenn man in ein Thema tiefer einsteigen will.

Als das Buch vor mir lag war schnell klar, dass es noch viel besser war als gedacht. Alleine die Liste der Autoren für die einzelnen Schlüsselbegriffe las sich für mich wie ein Who-is-Who aktueller Themen mit denen ich in den letzten ein-zwei Jahren immer wieder zu tun hatte:

Sebastian Brather, zum Thema Ethnos. Stefan Schreiber, zum  Thema Materielle Kultur. Stefanie Samida, Manfred K.H. Eggert, Cornelius Holtorf, Miriam Senecheau, Susan Pollock, Reinhard Bernbeck und Julia Koch, um nur die zu nennen von denen ich schon Publikationen kannte und schätzte. Auch die gewählten zentralen Schlüsselbegriffe bilden einen Mikrokosmos der momentanen Debatten in der archäologischen Forschung – und damit meine ich nicht nur die deutsche, sondern auch die englischsprachige und zum Teil auch die lateinamerikanische. Vieles davon deckte sich mit Themen, die hier im Blog schon öfter auftauchten: “Archäologie und Kunst”, “Archäologie und Öffentlichkeit”, “Archäologie und Politik”. “Materielle Kultur”, “Postkoloniale Archäologie”, “Strukturalismus”, “Kulturbegriff”. “Lebensbilder”, “Landschaftsarchäologie”, “Ethnos”. Dazu die eher klassischen, von mir erwarteten: “Analogie”, “Archäologie(n)”, “Klassifikation”, “Gräberanalyse”, “Typologie”, “Weltsystem”, “Stratigraphie” und so weiter. Also wichtige, grundlegende methodische Begriffe und dazu Themen, die von vielen mitdenkenden Menschen und Wissenschaftlern dieser Tage immer wieder besprochen werden. Insgesamt eine großartige Auswahl von 57 Themen und Schlüsselbegriffen.

Jeder einzelne wird von einem, in Einzelfällen auch zwei, Autoren bearbeitet und auf 3-4 Seiten kurz vorgestellt. Am Ende stehen 3-5 essentielle Literaturvorschläge, alle weiteren finden sich in einem extensiven Literaturverzeichnis am Ende des Buches, sodass auch noch mehr weiterführende Recherchen möglich sind, wenn man das gerne möchte.

Da ich das Buch gerne zeitnah besprechen wollte, gebe ich gerne zu dass ich nicht alle Beiträge gelesen habe, sondern eher die Hälfte. Davon bezog sich ein Großteil auf Themen, die interdisziplinäre und eher konfliktive Themen betreffen (“Postkoloniale Archäologie”, “Archäologie & Medien”, etc.). Aber auch eher sehr fachspezifische wie “Typologie”,  “Zentralort” oder “Weltsystem” waren dabei. Jeder Schlüsselbegriff wird zunächst kurz (im Bezug auf die Archäologie und ihre Nachbarwissenschaften oder für sich allein) definiert, dann historisch aufgearbeitet und am Ende in einer kurzen kritischen Betrachtung zusammengefasst. Die Texte sind durchdrungen mit kritischen Bewertungen der jeweiligen forschungsgeschichtlichen Nutzung des Begriffes oder des Beziehungsgeflechtes (wenn es z.B: um Themen wie “Archäologie und …..” geht) und enthalten immer wieder weiterführende Literaturangaben zu zentralen Werken die mit dem Begriff in Beziehung stehen sowie auf andere Schlüsselbegriffe im Buch selber, sodass man kreuzlesen kann.

Obwohl ich sonst sehr kritisch bin, ist es mir schwergefallen an diesem Buch etwas Negatives zu finden. Natürlich erlaubt es die Kürze der Beiträge nicht, besonders intensive detaillierte Auseinandersetzungen mit den Begriffen anzubieten – das ist ja auch nicht das Anliegen. Manchmal wollte ich mehr wissen, mehr lesen, mehr erfahren – aber die Autor/in bot eben einen kurzen Anschnitt des Themas und kein ganzes Buch dazu. Das ist auch gut so, denn meine Zeit erlaubt es eigentlich nicht zu jedem Begriff ein ganzes Buch zu lesen. 3-4 Seiten sind dagegen perfekt! Was mich an manchen Stellen etwas störte war die Konzentration von Leseempfehlungen auf Publikationen des Autors selber. Allerdings kam dies nur selten vor und konnte durch Blättern im Literaturverzeichnis am Ende auch umgangen werden – immerhin werden dort alle genannten Publikationen noch einmal aufgelistet.

Ein weiterer positiver Punkt für mich war die Bezugnahme auf Schlüsselbegriffe der englischsprachigen Archäologie, die mittlerweile auch nach Deutschland hinübergreifen. In vielen Texten kamen auch die englischen Schlüsselbegriffe vor, sodass ein schneller Einblick in diese Debatten ebenfalls möglich ist.

Prinzipiell ist es also ein großartiges Buch, das viele Themen aufgreift die absolut notwendig sind und den Blick schärft für ihre historische Entstehungsgeschichte und Zusammenhänge mit politischen, sozialen oder interdisziplinären Gegebenheiten. Gleichzeitig ist es ein Grundlagenbuch das jedem Studenten der Archäologie eine kurze Einführung in essentielle Begriffe des Faches anbietet, ohne dabei langatmig oder verschwurbelt daher zu kommen. Kurze Erklärung, kurzer Kontext, kurze Zusammenfassung + Literatur. Punkt. Und daher anders als die anderen Einführungswerke in die Prähistorische Archäologie der letzten 15 Jahre, die ich zwar auch mag, aber die eben genau dieses Kurze meist nicht bieten. Oder die zwar eine Einführung bieten, aber interdisziplinäre Themen rauslassen oder nur kurz angehen. Gerade diese finde ich aber immens wichtig weil sie die Lebenswirklichkeit des Faches mitbestimmen. Insofern finde ich gerade die Zusammenstellung der Themen immens wichtig und genau richtig. Wir müssen wissen was eine Typologie ist, aber wir sollten uns auch mit dem Thema “Archäologie und Medien” befasst haben – wenigstens am Rande! Diese Mischung von fachinternen Begriffen und in die Gesellschaft hinüberreichenden Themen ist es, die dieses Buch für mich absolut herausragen lässt.

Schlüsselbegriffe der Prähistorischen Archäologie

Schlüsselbegriffe der Prähistorischen Archäologie


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Mini-Museum oder Die Vergangenheit im Getränkemarkt./ Mini-Museum or: History at the Corner Shop

Wann ist ein Museum eigentlich ein Museum? Wenn es mehrere Räume hat? Oder viele Besucher? Oder dauerhaft in der sozialen Gemeinschaft verankert ist? Die ICOM sagt ja: “Ein Museum ist eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“ (ICOM 2006). Ein Ausstellunghaus hingegen: Haus, das im Wesentlichen auf eine eigene Sammlung verzichtet, aber auch keine Verkaufsausstellungen veranstaltet.” Gedenkstätten? Und was ist mit Folgendem:

Im berliner Stadtteil Friedrichshain gibt es ein “Museum”, dass eigentlich nur aus drei Billy-Regalen besteht und das mitten im Getränkemarkt aufgebaut ist. Dort steht es seit Jahr und Tag und jeder Besucher/Käufer kommt dran vorbei. Viele bleiben stehen, schauen, fragen etwas zu den Objekten. Friedrichshain liegt im Osten der Stadt, also im ehemals sozialistischen Gebiet der DDR. Und der Besitzer des Getränkemarktes hat hier Objekte ausgestellt, die nur ein einziges Merkmal eint: sie alle stammen aus der DDR und gehören zur Alltags-Welt dieses vergangenen Staates. Von der Brause (aka Limonade) bis zum Radio ist einiges vertreten und auf Nachfrage erzählte er mir, das alles hätten ihm Kunden vorbeibracht, die Ausstellung ist also im Wachsen begriffen. Warum aber stellt er das hier alles aus? Was ist der Zweck davon und was die Motivation, das alles abzustauben und zu erweitern? Der Besitzer sagte einfach nur: “Wir hatten die Sachen zuhause und denn ham die Kunden da immer ooch ma wat mitjebracht! Und nu steht dit ehm hier!”.

Kleine Museen, wie etwas die Heimatstube in Raddusch, oder eben die drei Billy-Regale im Getränkemarkt gehören ganz sicher zu den “Wilden Museen” *. Ein Museum der Kleinen Leute. Hier steht das Objekt nur für sich, es wird nicht abgegrenzt, es ist kein Bild, Symbol für irgendetwas (Janelli 2012: 28). Nein, es soll uns einfach nur erinnern an etwas das war. Das so nicht mehr existiert, aber in uns noch weiterlebt. Ganz ohne Beschriftung und Erklärung sprechen hier die Dinge für sich selbst. für manche als Erinnerungs-Jogging, für andere als exotisches Ding aus vergangenen Zeiten ohne jegliche Verbindung zu einem selbst. Hier kommen Menschen ins Gespräch – darüber was das für Dinge sind, wofür sie benutzt wurden. Sie erzählen einander davon, wie schwer es war diese Dinge zu bekommen in der sozialistischen Planwirtschaft.

Es ist eine sehr lebendige Sache, so ein Minimuseum im Getränkemarkt. Und es ist nicht so konsumbasiert wie andere Ausstellungen in Einkaufszentren, und auch nicht effektheischend. Es ist eher eine Erinnerung und ein Gesprächsgrund. Lebendige Geschichte – für den, der sich darauf einlassen will.

*A. Janelli, 2012. Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums. Transcript Verlag.

Museum im Getränkemarkt - Sprache der Dinge Blog

Museum im Getränkemarkt – Sprache der Dinge Blog

Foto 3 Foto 2ENGLISH VERSION

When is a Museum a Museum? Is there a minimum size? Or a minimum amount of visitors? Or does it have to be permanently linked to its surrounding society? The ICOM says: “A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment.” (ICOM 2007). What about “exhibition buildings” that don’t have their own collections but exhibit? And what about memorial places – “A memorial is a structure built in order to remind people of a famous person or event.”? And what about the following:

In the Berlin neighborhood of Friedrichshain, there’s a museum that consists mainly of three shelves that are placed directly in a small super market. It has been there for some years and every day visitors / clients come along and have a look at it while buying drinks and alcohol. Many of them stop for a minute and start chatting about the things at display, talking to each other, asking the proprietor about his collection or just remembering events related to these objects in their own lives. Friedrichshain is located at the Eastern part of Berlin and belonged to the former socialist GDR. And the proprietor has on display objects from GDR-times. They all belonged to the everyday life of this lost state: starting with lemonade bottles and up to radios there’s almost everything on display and when I asked him how the things got here and if they belonged to him, he told me that clients had started to bring these things over and are still doing it. The collection is growing. But why does he exhibit these objects? What´s his motivation? Where does the energy to preserve these things come from, to look after them and have them cleaned all the time? The only answer I got was: “Well, we had these things at home, then we put them here, the clients started to bring other things around and now they are just here!”.

Small museums, as the typical local museum consisting of one or two small rooms crammed with objects collected by a mostly private person, or these three shelves at the supermarket belong surely to what is called “Wild Museums” or “amateur museums”. Its ” a museum for ordinary people”*. Here, the object represents itself, its not a symbol or a an image of something. It just is itself, reminding us of personal events or memories. Reminding us of something that doesn’t exist anymore – without any explanation the objects speak for themselves, raise questions or curiosity. It´s like memorizing for some people or being an exotic object for others. People get to talk to each other contemplating the objects, because these represent so many different, personal ideas. At the supermarket, people talk about how difficult it was to buy these objects in socialist times, relating very personal stories to strangers. Others wonder about the design or function. Anyway, they make people talk.

It’s a very animated thing, this little museum at the supermarket. And its not centered on consuming things, like the exhibitions in shopping malls and it doesn’t want to get your attention no matter what. Its just living history and living memory. For anybody who likes to join.

*A. Janelli, 2012. Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums. Transcript Verlag.


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E-Learning and Digital Culture #edcmooc : finishing week 3!

As the course is in English, pardon me if this post will be only available in English, as well.

Though I have been November-ill most of this week, I found some time in between to catch up with the videos and lectures of #edcmooc in this third week. It´s fascinating, because now we are on to something absolutely basic to humans: the question on how we define ourselves as humans and how this relates to the idea of digitally and its impacts on human being and society. After reading & watching the resources, including this great short film “They are made out of meat“, I was definitely wondering on the human – digital nature of our current world. It all depends on where your priority lies when you define something!

Surely, thats a question that comes up every so often when you notice that you are bound to the news on twitter, blogs, etc. When you realize that a smartphone has become a real part of your life, creating networks of persons (well, what persons? real persons? avatars?), well lets say “beings” that are becoming part of your life, that in a certain way you trust in the fact that they are THERE (out there, in any case). So: is this a new level of being human? I haven’t read enough on the subject to revise any theories that may exist, its just that I feel something is changing. Our social life is increasingly immersed in others than the actual “real” spheres of life: meeting in person, speaking (life or on telephone). There are other ways to be inside a peer group and they are virtual.

Now, I have often been asked by older family members if I don’t feel that I am depended on my smartphone. And on the internet. And I have to say that: YES, I have become dependent on it. And with developing this dependency I have learnt to be able to cope with it, balance it, give it the room it needs. And to create and maintain OTHER rooms of relationships as well! Is dependency on new social groups bad or good? Or is it just a new form of interaction? Just as books were considered to be sickening to people who read too much, or TV for people who watch it for hours? And isn’t this all about how we deal with it? It helped me a lot to see historic approaches to “what is human” from antiquity onwards, because it shows you that the integration of new traits in our perception of humanity is a changing and slow process.

It seems to me that we are, right now, in an age where many of us are divided between the people that are online and offline present – and the ones that don’t use online social resources but have a rather pragmatic, informational approach to the use of the internet and digital possibilities. I still can’t see where the Digital Natives fit in, but I hope to find out as my child grows up.

Anyway, being immersed in the sphere of Moocs, constant twitter messages, emails and the like, I cannot help but feel that this is and will become a really big part of our future. We will be immersed in digital life & we will have to come terms with it in order to create a healthy relationship with it.

Personally, I see humanity mainly as the ability and the wish to belong to a social group (or various). This may be a very simplistic definition, but its what for me characterizes a human being in the foremost sense. Any other human elements as well as a critic approach to this wish of belonging, in my opinion, stem from it. In this sense, immersing oneself in new social groups in a digital world is just a logical next step from where we are right now. This blog is just one example of changing the “real” world employing digital means. Creating new networks & reaching out to new people, present in this new space of digitalis. (Guy from Guy Cowleys Blog put my feelings into an image, that can be seen here!)

Extending our space into a digital one is maybe also a logical development when in the “real” world we don’t have nothing left to discover. OUr geography has been out mapped 100 years ago and what is left is outer space – and digital space. I sometimes tend to see digital space like a new land, where you may get lost, encounter wonderful places, adventures and perils. its these human feelings that have remained the same, and we set about this new continent of Digital-Land. Digital Immigrants and Digital Natives are just words that are in line with these feelings.

Sprachederdinge blog #edcmooc

Sprachederdinge blog #edcmooc


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Blogging as Opportunity: Where are you/we going with blogging or would you it like to go? #blogarch

The final question of Doug´s Archaeology on Blogging Archaeology is out: Where are you/we going with blogging or would you it like to go?

In my perception, archaeological blogging is a rather informal way to raise archaoelogical topics without going all the length to a scientific article. Its an opportunity to shape ideas, explore themes I don´t have time to explore in other contexts. And if you understand it this way, the future of archaeological blogging for my personal experience should stay this way. An open space to share ideas.

Sure, I would like to get more followers and traffic, and it would be great to get visitors who are NOT embedded in the merely archaeological realm. But as the blog covers other themes like museology, materiality or art, I am hopeful to get a wider audience as time goes by.

In a broader perspective, I would like to see a growing impact of archaeological blogging, in the archaeological community but more than ever in the wider public, too. In a sense, archaeological blogging to me is a way to be heard, to get to a wider public and to take archaeology out of the ivory tower of science back to the people. Maybe this is different in Germany than in Great Britain or the USA. Here, Archaeology needs to go out and find new followers and new inspiration in order to get back to a standing it once had.

Moreover, archaeological blogging is to me an opportunity to connect our discipline to others – forming a real interdisciplinary space of ideas. This should be the future of archaeological blogging: a space to get to know each other and create new ideas. Be it with a non-archaeological public or with other scientists. In the sense of Web 2.0 as an open, ever changing and ever fluctuating area, this would be a great opportunity!


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Massendinghaltung in der Archäologie: die Konferenz der TidA 2013

Foto 1Die Tagung der Theorie in der Archäologie (TidA) “Massendinghaltung in der Archäologie” wurde vom 23.-24.5.2013 im Topoi-Gebäude der FU-Berlin abgehalten und am 25.5. durch einen Besuch im Museum der Dinge ergänzt. Topoi gehört zum Exzellenzcluster und besitzt offensichtlich sogar Gadgets wie einen Topoi-Türstopper. Aber das nur am Rande und weil ich es so schön durchdesigned fand.

Die Tagung war kostenlos und sehr gut besucht; so gut, dass der gesamte Saal gefüllt war und sogar freie Plätze gesucht wurden. Einige hatten sich wohl, wie ich, spontan entschlossen, zumal eine verbindliche Anmeldung vorher nicht nötig war, wollte man nicht an optionalen Angeboten wie den Besuchen der Museumsmagazine ö.ä. teilnehmen. Das war für mich sehr praktisch und ist definitiv empfehlenswert! Leider konnte ich nur den ersten Tag wahrnehmen, was mich sehr grämt, immerhin hätte ich doch gerne die Beiträge der diskussionsfreudigen Herren Bernbeck und Raimund Karl am 24.5. gehört und auch die Ausführungen der Referent/innen zum Thema Sammlung, Computer etc., die am 24.5. anstanden. Am 23.5. ging es eher um den philosophisch-theoretischen Unterbau, ein ebenfalls sehr spannendes Thema.

Kurz vorweg gesagt: obwohl ich in meiner Arbeit seit längerem mit den Begriffen der “Materiellen Kultur” arbeite und bislang kontextbasierte Umgangsformen mit Dingen als Interpretationsansatz favorisiere und damit eher einer poststrukturalistischen Idee folge, hatte ich mich bislang nicht sehr eingehend mit dem theoretischen Unterbau dieser Konzepte befasst. Wie man materielle Kultur ausbuchstabiert, wie man sie definiert, wie man die Beziehung zwischen Mensch und Ding definiert und interpretiert und welche Implikationen das hat – das waren für mich neue Fragen, die sich mir erst bei der Durchsicht einiger vorbereitender Texte zur Tagung stellten. Die Einführung von Dan Hicks “The material-cultural turn” war mir sehr hilfreich um einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung dieser Diskussion zu bekommen, und auch einige kürzere Texte der avisierten Vortragenden gaben mir ein Grundgerüst über die hauptsächliche Literatur und die laufenden Diskussionen (Literaturverweise s.u.!).

Allerdings hatte ich bei der ersten Durchsicht des Tagungsprogramms eher gedacht, es ginge um die Problematik der Überpopulation archäologischer Sammlungen durch Dinge, Funde. Und um die Arten hiermit umzugehen, Möglichkeiten des Umgangs und der Interpretation zu finden, neue Fragen an diese Materialmengen zu stellen, eventuell auch eine Reduktion dieser Fundmassen anzugehen. Da meine Arbeiten in Lateinamerika regelmässig Tausende von Scherben umfassten, die ich alleine abarbeitete und da ich mich noch gut an den Besuch bei einer Doktorandin in Bolivien erinnere, die in einer Kammer mit mehreren tausenden Steinabschlägen sass (eine Erfahrung, die mich im dritten Semester sehr geprägt hat und eine mittlere Sinnkrise auslöste), waren diese Fragestellungen für mich sehr interessant. Trotzdem jedoch war das endgültige Tagungsprogramm dann sehr viel theoretischer und grundsätzlicher – zumindest am 23.5.13. Es ging nicht so sehr um die konkreten Ansätze eines UMGANGS mit dem Material als um Definitionsfragen und die Fragen: auf welcher Ebene und aus welchem theoretischen Blickwinkel NÄHERE ich mich dem Material?

So referierte Matthias Jung über das Konzept von Topf und Henkel anhand der Texte von Simmel “Der Henkel” und Ernst Bloch “Ein alter Topf” und damit über seine Suche nach den Vorläufern der Hermeneutik der Kultur. Seine Analyse ging dahin, dass diese frühen Texte, die sich auf verschiedene Arten mit Dingen und Materialität befassten, von der Archäologie nicht oder kaum rezeptioniert wurden – eine Aussage, der das Publikum eher widersprach.

Thomas Meier sprach über seine Kritik an der Erfahrungsperspektive, die davon ausginge dass Dinge ontologisch da seien und eine Existenz aus sich heraus besäßen und damit einen prädiskursiven Kern. Sein sehr philosophischer Vortrag traf auf einige Kritik aus dem Publikum, gerade was die Begrifflichkeit anging. Sein Hauptkritikpunkt richtete sich jedoch darauf, dass auch die heutigen Vertreter dieser Denkart wie Tilley und Latour keine logische Begründung dieser angenommen essentialistischen Materialität der Dinge lieferten. Er verband diese Gedanken mit dem westlichen Bild des Menschen und des Dinges als gegensätzliche Entitäten (verbunden mit dem Cartesischen Dualismus des res cogitans und res externa) und damit auch mit einer Kritik an der Annahme, dass Materialität auf eine bestimmte Art prämiert werde und damit der angesagte “material turn” eher ein rückwärtsgewandtes Gebilde sei, das Ideen des 19. Jahrhunderts fortschreibt.

Nach ihm sprach Stefan Schreiber über ein tatsächlich extrem kontroverses Thema: über die Annahme dass das Konzept des/der Cyborg als posthumanistischer Akteur (nach Haraway), der die Grenzen zwischen Ding, Mensch, Tier, Physikalischem und un-Physikalischem niederreißt, auch in der Archäologie Platz finden könne. Übertragen in die Ur- und Frühgeschichte und die Debatte um Materialität nutzte er diese Idee als mögliches kulturelles Gegenkonzept zur Verdinglichung und Diskriminierung vorgeschichtlicher Akteure jeder Couleur. Für ihn sinnvoll, da er diese Akteure als archäologisch nicht “vorbestimmt” und “zugeschrieben” wahrnahm, sodass die Möglichkeit bestünde alle vorgeschichtlichen Akteure als Cyborgs oder hybridisierende Darstellungen zu verstehen.

Philipp Stockhammer und sein Vortrag über Mensch-Ding-Verflechtungen näherten sich hingegen der archäologischen Realität der Funde mit einem realitätsbezogenen Ansatz: der Ansicht eines Dinges und seiner Verflechtungen (entanglements nach Hodder) mit dem Menschen anhand der Aspekte Materialität, Kontext, räumliche Verbreitung und Bedeutung und Macht. Anhand von einigen Annahmen von Latour bezüglich der Akteur-Netzwerk-Theorie und der Einbeziehung der Wandelbarkeit der Wahrnehmung der Objekte sowie der Objekte selber über die Zeit stellte der Referent dann auch die Frage nach der Wirkung dieser dinglichen Aspekte auf den Menschen und damit nach der Doppelbeziehung zwischen Mensch und Ding.

Am Nachmittag sprach dann Manfred Eggert über Objekte als Teil eines Ganzen (frei nach W.H. Riehl) und die Aura (frei nach W. Benjamin) der Originalobjekte. Vor allem die (Re-)Semiotisierung der Dinge in ihren unterschiedlichen Kontexten und die “unbegrenzte Semiose” waren Thema seines Vortrages, da sich die Dinge dem individuellen Betrachter immer wieder anders darstellen. Gleichzeitig stellte er die Frage nach der Redundanz des archäologischen Materials zumal für ihn im zentralen Mitteleuropa fast nur noch quantitative Materialzuwächse anstünden. Die Frage nach dem “Entsammeln” stellte sich. Und wurde heiß diskutiert – v.a. in den Aspekten der “Aura” des originalen und des “falschen/gefälschten”.

Schließlich sprach Hans Peter Hahn über Sammlungen als eigensinnige Orte. Seine zeitliche Verbindung der Entstehung der großen Sammlungen mit dem Aufkommen der großen Warenhäuser im 19. Jahrhundert und sein Vergleich der Behandlung der Objekte in beiden Orten stieß auf großen Diskussionsbedarf. Allerdings war sein Vergleich des Verlustes der Unmittelbarkeit der Dinge an beiden Orten überzeugend, verbunden mit einer kulturellen Definition des entsprechenden Objektes. Er sah Sammeln als tierische und menschliche Grundform und sprach ihm zu, dass Sammlungen Macht und Einfluss auf unser Weltbild haben – und als aktive Teilnehmer an der Schaffung von Weltbildern gelten können. Diese zeitlich und kontextuell wechselnden Interpretationen der Objekte stehen in Zusammenhang mit unserer eigenen Neubestimmung der Identität, wodurch Objekte (in ihrer Beziehung zum Sammler) durchaus auch eine Machtbeziehung entwickeln können. Durch die Festschreibung des “Andersseins” wird Alterität konstruiert, sodass auch ein Fremdbild kreiert wird, das wiederum mit unserem eigenen Selbstbild in Bezug steht. dies war für mich definitiv der entscheidende Part seines Vortrags, der noch einige andere Aspekte der Beziehung zwischen Sammler & Sammlung aufnahm.

Im Ganzen gesehen war es für mich so etwas wie eine Mega-Crash-Einführung in das Thema Materialität und seine theoretischen Grundlagen. Natürlich fehlte mir hier und da ein Nexus, dafür gab es sehr viel Input, Überlegungen und es hat sich einiges angesammelt, das begrifflich geklärt und nachgeschlagen sein will und Literaturverweise, die zumindest ansatzweise verfolgt werden wollen. Und ein Überblick über die Debatte über Materialität in der deutschsprachigen Archäologie.

Da meine Forschung bislang in Lateinamerika stattfand, wo eine völlig andere Fundlage herrscht als in Mitteleuropa, waren einige der angesprochenen Themen für mich fast völlig neu. Das Thema “Entsammeln” etwa – in meiner kaum erforschten Studienregion fast unglaublich, da jede neue Scherbe, jeder neue Fundort neue Aspekte und Interpretationen eröffnet. Weitere für mich spannende Schlagworte war etwa die Semiotisierung und Semiose, auch wenn diese hier in der Konferenz v.a. für den Museumsbereich angesprochen wurde.

Literatur, die ich weiterverfolgen werden:

Hodder: Entangled: an Archaeology of the relationships….

Heidrich, H.: SachKulturforschung

H.P. Hahn: Materielle Kultur u.a.

D. Miller: Der Trost der Dinge.

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